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Gendern? – Toleranz ist wichtiger als Zeitgeist

(Info:) Das Gendern ist in den Medien und im Internet-Texten angekommen. Nun droht es den Literaturbetrieb. Hier meine Gedanken in diesem Artikel »Gendern? – Toleranz ist wichtiger als Zeitgeist« und am Ende ein paar Tipps zu einem lesbaren Gendern ohne Genderzeichen, die den Lesefluss und Lesegenuss nicht stören.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Toleranz?

Toleranz ist das Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen und Handlungsweisen. Seit der Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert wird das Adjektiv »tolerant« mit der Bedeutung von duldsam, großzügig, weitherzig und nachsichtig verwendet. Die Steigerung von Toleranz ist Akzeptanz, also die Zustimmung gegenüber fremden Überzeugungen oder Handlungsweisen, die man selbst annimmt.

Toleranz bestimmte schon in der Antike das Zusammenleben der Menschen. Dort wo das Gegenteil, die Intoleranz, gegenüber Menschen, Meinungen, Sitten und Glauben herrschten, kam es zum Blutvergießen. Man denke nur an die Christenverfolgung im alten Rom, die Kreuzzüge im Mittelalter oder die Pogrome bis 1945.

Immanuel Kant (1724 – 1804), ein führender Philosoph der Aufklärung, schrieb: »Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.« Das sollte jeder tolerante Mensch unterschreiben können.

Was ist Zeitgeist?

Der Zeitgeist ist ein Begriff, den der Dichter und Philosoph Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) prägt. Es beschreibt eine Eigenart einer bestimmten Epoche. Wie deutsch dieser Begriff ist, zeigt, dass es im Englischen und anderen Sprachen keine Übersetzung gibt, sondern als Lehnwort benutzt wird. Das englische Adjektiv dazu ist »zeitgeisty«. Doch schon in der Romantik sahen Herder und anderen Autoren das Phänonem des Zeitgeistes kritisch. Herder bezeichnet es als einschränkend, drückend und bleinern. Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) dichtete gar im »Faust. Der Tragödie erster Teil« die Worte:
»Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
   Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
   Indem die Zeiten sich bespiegeln.«
Spätere Autoren äußern sich noch kritischer. So schrieb Hans Magnus Enzensberger (* 1929): »Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. Wer nur die Gegenwart kennt, muss verblöden.«

Was ist Gendern?

Das Gendern will in der deutschen Sprache die Gleichbehandlung der Geschlechter in schriftlicher und mündlicher Form erreichen. Im englischen Sprachraum, aus dem der Begriff gendern übernommen wurde, kennt keine grammatikalischen Geschlechter und damit auch dieses Problem nicht. – Da hört man förmlich den Zeitgeist umgehen und mit seinen rostigen Ketten rasseln, um die zu bannen, die sich dem Anliegen nicht anschließen. Kurz: Inakzeptanz wird nicht toleriert.
Hier gilt nicht das Wort von Friedrich Schiller (1759 – 1805): »Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.«

Die Strategien des geschlechtergerechten Formulierens, die nach Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes von amtlicher Seite vorgeschlagen und verwendet werden, sowie die vielen weiteren Versuche, leiden alle an dem Problem der Umständlichkeit und/oder der Unleserlichkeit. Schreibweisen wie »Autor*innen«, »Autor:innen« oder »Autor_innen« behindern den Lesefluss, werden von Rechtschreibprogrammen oder von Vorlesesystem zum Beispiel für Blinde (noch nicht) erkannt. Darum empfahl der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) im März 2021 auf Genderzeichen zu verzichten und auf sprachliche Mittel zu setzen um geschlechtliche Vielfalt zu verdeutlichen.

Der britische Science-Fiction-Autor Douglas Adams (1952 – 2001) hat das Gender-Problem in seinem Roman »Spaceship Titanic« bereits 1979 vorweggenommen, wenn er die Roboter an Bord der »Titanic« jedermann mit der Formel »sir, madam or thing« (Herr, Dame oder Ding) ansprechen lässt.

Wo Gendern befohlen wird, wird Widerstand zur Pflicht

… so könnte man das bekannte Zitat von Papst Leo XIII. (1810 – 1903) umformulieren. Denn es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn Texte, die kein Gendern enthalten, zu Mindestes indirekt als »aus der Art geschlagen« behandelt werden. – »Principiis obsta!«, schrieb der antike römische Dichter Ovid (43 v. Chr. – 17 n. Chr.): »Wehret den Anfängen!«

Toleranz gegenüber allen empfindungsfähigen Wesen, ob biologisch oder nicht, die geschlechtergerechte Formulierungen bevorzugen, bedeutet nicht die Akzeptanz für eine Sprachpolizei welcher Art auch immer. »Die Gedanken sind frei« veröffentlichte Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874) in seinem Buch »Schlesische Volkslieder«. Dies schlägt sich auch nieder in Artikel 5, Absatz 1, Grundgesetz: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. […]«

(Daher bleibe ich in meinen Texten – wider den Zeitgeist – bei der traditionellen Schreibweise der Begriffe, um eine möglichst einfache Lesbarkeit zu erhalten. Daher gilt für mich beim Gendern: Toleranz ist wichtiger als Zeitgeist.)

Gendern in gut lesbarer Form

Die deutsche Sprache ist komplex, bietet viele Möglichkeiten, etwas auszudrücken, und ist flexibel, um neue Worte zu erschaffen. Statt der oben genannten Formel mit Genderzeichen gibt für das geschlechtergerechte Formulieren verschiedene Wege, es in einer gut lesbarer Form zu tun. Auch hier beim Gendern gilt, dass Toleranz ist wichtiger als Zeitgeist.

(Tipp:) Verweiblichung eines Begriffs

Im Deutschen wird die weibliche Form eines Begriffs durch das Anhängen der Endung »-in« (Singular) und »-innen« (Plural) gebildet.
(Beispiel:) Der Fischer, die Fischerin und die Fischerinnen.
Dabei gilt zu beachten, dass es für das weibliche und männliche auch unterschiedliche Bezeichnungen gibt.
(Beispiel:) Katze und Kater, Kuh und Stier, Frau und Mann
In der deutschen Übersetzung der Bibel schrieb Martin Luther (1483 – 1546) »Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.« (1. Moses 2.23)

(Tipp:) Vermännlichung eines Begriffs

Auch wenn es weniger bekannt ist, so gibt es umgekehrt auch die Möglichkeit, eine männliche Endung an einen Begriff anzuhängen. Diese Endung lautet auf »-rich«.
(Beispiel:) die Maus und der Mäuserich

Die mehrgeschlechtliche Gruppe

(Tipp:) Der einfachste Weg ist eine Gruppe von Menschen mit verschiedenen Geschlechtern zu bezeichnen durch die Nennung des männlichen und weiblichen.
(Beispiel:) Der Müller und die Müllerin

(Tipp:) Eine andere Formulierung wird durch das Plural-s gebildet.
(Beispiel:) Die Müllers
Dies funktioniert jedoch nur bei Namen. Arzt und Ärztin lassen sich nicht zu »die Arzts« zusammenfassen.

(Tipp:) Geht es nicht um den Namen, sondern um die Tätigkeit (Beruf, Handwerk), so könnte man auch die Endung »-sleut« benutzen.
(Beispiel:) Die Müllersleut, die Webersleut, die Wandersleut

(Tipp:) Bei Berufen, die ein Studium voraussetzen, kann man die Endung »-schaft« benutzen.
(Beispiel:) Die Ärzteschaft, die Richterschaft

(Tipp:) Gruppen, die im Bereich Dienstleistung arbeiten, erhalten gerne die Endung »-personal« oder die **Endung »-kräfte«.
(Beispiel:) das Flugpersonal und die Servicekräfte,

Ein Problem stellen die Politiker und Politikerinnen da:
(Schlecht:) die Politikers
(Schlecht:) die Politikersleut
(Gut:) die Politikerschaft
(Gut:) das Politikerpersonal, doch das klingt mehr nach den Dienstleistenden, die im Umfeld der Politiker tätig sind.

(Tipp:) Die Endung »-enden« funktioniert nicht

In vielen modernen Texten stößt man auf die Endung »-enden«, um eine mehrgeschlechtliche Gruppe zu beschreiben.
(Beispiel:) Die Studierenden, die Pflegenden, die Wählenden
Dies ist eine Substantivierung eines Adjektivs. Aus »studierend« werden »die Studierenden«. Doch diese Bildung klappt nicht immer.
(Beispiel:) »krank« wird substantiviert zu »die Kranken« und nicht zu »die Krankenden«.
Die Adjektive »studierend«, »pflegend« und »wählend« sind Partizipialform, die von den Verben »studieren«, »pflegen« und »wählen« abgeleitet werden. Das Partizip I (Partizip Präsens) drückt eine Gleichzeitigkeit der Handlung aus. »Das singende Mädchen« ist ein Mädchen, das gerade singt.
So betrachtet sind Studierenden, Pflegenden oder Wählenden also Menschen, die gerade studieren, pflegen und wählen; und damit als allgemeine Bezeichnung für eine mehrgeschlechtliche Gruppe nicht einsetzbar. Denn sie erzeugt herrliche Stilblüten.
(Beispiel:) Um zu sagen, dass viele Menschen nicht zur Wahl gegangen sind, macht der Satz »viele Wählenden bleiben zu Hause« keinen Sinn.

Fazit

Dieser Artikel hat erklärt, warum Toleranz wichtiger als Zeitgeist ist, wenn es um das Gendern geht. Das Gendern ist eine eine Erscheinung des Zeitgeistes. Jeder sollte die Toleranz haben im literarischen Betrieb mit und ohne Gendern leben zu können. Und wenn Sie gendern, dann bitte in einer lesbaren Form. Beispiele dazu finden Sie oben.

(Ende.)